Samstag, 24. Januar 2009
 
Scheinehen und Scheingefechte PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Florian Klenk   
Freitag, 2. März 2007

Nicht die wenigen illegalen Einwanderer und ihre "Scheinehen" sind ein Problem – sondern die zunehmende Chancenlosigkeit der zweiten und dritten Einwanderergeneration.
Auch Scheingefechte können gefährlich sein: da traut sich ein Afrikaner – obwohl unbescholten und mit einer Wienerin verheiratet – nicht mehr raus auf die Straße, weil er Angst hat dort verhaftet zu werden. Da kämpft ein arbeitsloser Kellner um seine chinesische Ehefrau – und soll nun auch noch ihre Abschiebekosten begleichen. Da demonstrieren Ehefrauen gegen solches Unrecht – und ihre ausländischen Männer wagen es nicht mitzukommen, aus Angst vor Schubhaft. Verdeckt operierende "Sonderkommissionen" zählen Schuhe und Zahnbürsten, sie fragen die Verdächtigen nach der Frequenz ehelichen Geschlechtsverkehrs – in der Hoffnung vielleicht ein paar dunkelhäutige Heiratsschwindler zu stellen.
(Mit freundlicher Erlaubnis des Autors Florian Klenk und des Standard)

Es werden Gesetze geändert, Beamte beschäftigt und vor allem jene schikaniert, die den letzten legalen Weg ins Land und vielleicht auch ihre große Liebe gefunden haben. Und dann wird auch noch so getan, als wären Ehen in Europa stets aus Liebe geschlossen worden. Dabei müssten gerade wir es besser wissen: "Tu felix austria nube!" – proklamierten die Habsburger und verheirateten ihre Kinder zu rein strategischen Zwecken.

Es ist ein Scheingefecht, das da abgehalten wird. Nur 96 Anzeigen wurden vergangenes Jahr gegen mutmaßliche ausländische Heiratsschwindler eingebracht – das ist nichts verglichen mit der Schikane für Tausende und dem negativen Image, das sich Österreich dadurch im Ausland erwirbt. Scheinehen sind kein Sicherheitsproblem in diesem Land – und daher überrascht die Vehemenz mit der die "Scheinkriminalität" von Politikern und Behörden in der politischen Arena hysterisiert wird.

Existierende Herausforderungen

Dabei gibt es viel wichtigere, nicht weniger heikle Herausforderungen im "Fremdenwesen". Sie "scheinen" nicht nur, sie existieren wirklich. Nicht die immer weniger werdenden "illegalen" Einwanderer, die nach Österreich tröpfeln (und meist wieder in andere Länder ausreisen), werden die Gesellschaft vor große Herausforderungen stellen, sondern die legal hier lebende, zweite und dritte – vor allem muslimisch geprägte – Einwanderergeneration. Was heute schon deutsche, niederländische, britische und französische Städte plagt – Stichwort Rütlischule und Pariser Banlieus – wird bald auch Österreich beschäftigen: immer mehr Einwanderer der ersten Generation schafften zwar einen bescheidenen wirtschaftlichen, nicht aber den gesellschaftlichen Aufstieg in diesem Land. Und ihre Kinder und Enkel verbleiben erstaunlich oft in ihren Communities, die ihnen zwar sozialen Halt bieten – aber manchmal eben auch nur rückständige islamistische Prediger aus Gaza. Der jüngste Fall des als moderat geltenden Imams Adnan Ibrahim, der offen zur Unterstützung von Hisbollah und Hamas aufforderte und vor "Mischehen" zwischen Muslimen und Ungläubigen warnte, ist kein Einzelfall.

Nein, es gibt kein Problem der "Umvolkung" oder "Überfremdung", wie es Heinz-Christian Strache uns weiszumachen versucht. Es ist vor allem ein Bildungs- und ein Sprachenproblem, das da heranwächst und die nächsten Generationen "mit Migrationshintergrund" nachhaltig benachteiligen wird. Es braucht eine vernünftige, progressive Antwort für die Einwanderer und ihre Nachkommen. Längst haben in Deutschland auch konservative Kräfte erkannt, dass man Einwanderer nicht nur fordern, sondern auch sehr, sehr früh fördern muss, weil sich die Gesellschaft sonst spaltet – und dies nur den Radikalen, den Rechtsextremen oder Islamisten dient.

Bildung

Was geschehen muss? Mama und Kind müssen Deutsch lernen, so früh wie möglich – am besten in einem verpflichtenden Kindergartenjahr. In Schulen sollten sich Eltern, Lehrer und Kinder darauf verständigen, dass am Pausenhof - freiwillig -Deutsch gesprochen wird. Eine Berliner Schule hat das – unter dem Protestgeheul türkischer Berufsfunktionäre – erfolgreich vorgemacht. Nicht aus völkischen Gründen, sondern als Förderung jener Mitschüler, die zu Hause "nur" Türkisch reden können und denen schulischer Erfolg deshalb oft versagt bleibt.

Wer heute über den wunderbaren, geschäftstüchtigen Wiener Brunnenmarkt geht und mit Jugendlichen spricht, trifft dort erstaunlich oft auf geborene Wiener, die in erbärmlich schlechtem Deutsch erklären, dass verheiratete Frauen alleine nichts auf der Straße zu suchen haben. Wer mit Wiens türkischen Streetworkern, Journalisten und Sozialarbeitern spricht, der hört von einem dramatischen Rückfall in Sachen Frauenrechten und von der Re-Islamisierung. Sie berichten, wie sich junge, in Wien geborene türkische Mädchen plötzlich weigern, Männern die Hand zu geben, weil das "unsittlich" sei. Dazu kommt das, was der deutsche Kriminologe Christian Pfeiffer die "Machokultur" nennt. Buben werden verwöhnt und bedient, Mädchen verschleiert und aus dem öffentlichen Leben verbannt. Es liegt auch an der islamischen Glaubensgemeinschaft, diese Zustände zu erkennen, anstatt sie sanft wegzureden.

Kindergärten statt Bettenkontrolle

Kurzum: Anstatt die Zahnbürsten der Einwanderer zu zählen und in ihre Betten zu schauen, anstatt Jagden auf die wenigen Illegalen zu machen, sollte der Staat die Kindergärten und Schulen aufsuchen, den Arbeits- und Wohnungsmarkt öffnen und vor allem auch muslimische Vereine in die Pflicht nehmen. Die Schulen sind letztlich verantwortlich dafür, ob es Migranten in Mittelschulen und auf den gehobenen Arbeitsmarkt schaffen und ob sie ankommen in dieser Gesellschaft – oder ob sie doch nur als Hilfskräfte und Sozialhilfeempfänger wahrgenommen und als "die Anderen" ausgegrenzt werden.

Und da schließt sich der Kreis zu den Scheinehen. Denn wenn es keine Verständigung, keine Bildung und keine Chancengleichheit gibt, dann wuchern eben auch die Vorurteile. Und dann treten die Populisten als Heilsbringer auf und sie werden weiter Scheinehen bekämpfen aber in Wahrheit "Mischehen" und "Überfremdung" meinen. Es ist ein übles Scheingefecht.

(für den Integrationsschwerpunkt von Standard.at  von Florian Klenk, Redakteur der Hamburger Wochenzeitung "DIE ZEIT". Er lebt in Hamburg und führt ein Watchblog unter www.florianklenk.com.

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